Photography - Cairo





In Kairo (...) liegt alles, was Christiana Protto in ihren verschiedenen Werkgruppen beschäftigt – Sprachen und Schriften etwa, Kunst- und Kulturgeschichte, die Natur und das Vergehen der Zeit – offen vor den Augen des Betrachters. Man muss nur hinschauen.
Der französische Schriftsteller Georges Perec hat es vor 50 Jahren vorgemacht. Einmal im Jahr ist er in Paris die Rue Vilin entlang gegangen, nur um festzuhalten, wie die Zeit vergeht. Wie über all die Jahre Geschäfte neu eröffnet und geschlossen werden, Namen die Fassaden zieren, überstrichen werden oder irgendwann verblassen; wie Schaufenster vernagelt, Türen zugemauert, Häuser neu errichtet werden oder übers Jahr verschwinden. Jahr für Jahr.

Wenn sich nun die Künstlerin mit der Kamera auf den Weg begibt, um das allmähliche Vergehen der Zeit festzuhalten, genügt ihr ein präzise komponiertes Bild. Findet doch Protto in ihren Aufnahmen von Dachterrassen und Fassaden, von Schriften, Graffiti und Werbeflächen, von Entrees und Interieurs und Artefakten das Vergehen der Zeit maximal verdichtet. Was verblüffend genug ist bei einem Medium, das doch den konkreten, nicht wiederkehrenden Moment festzuhalten verspricht.
Christiana Prottos in den Straßen Kairos aufgenommene Fotografien aber belegen das Gegenteil. Gewiss, auch „Dachhäuschen“, „Gucci“ oder „Défense de fumer“ zeigen nur, was die Kamera in jenem Augenblick gesehen hat, als die Künstlerin den Auslöser betätigte.
Und doch legt sie Bild für Bild und Schicht um Schicht den Palimpsest-artigen Charakter der ägyptischen Metropole, aller Kulturen aber auch und im Grunde allen Daseins frei.

Mag sein, mitunter finden sich auf Prottos Wegen die Spuren der Vergangenheit, sagen wir Napoleons, der Römer und des Alten Reiches, nur mehr als Zitat. Doch wie oft auch immer eine Hauswand neu geweißt und überstrichen scheint, Architekturen wachsen, wuchern und sich überlagern; welche Schriften, Sprachen, Bilder immer sich im Lauf der Zeiten materialisieren und verschwinden, ihre fortdauernde Präsenz bleibt davon sichtlich unberührt.
Die Zeit, sie scheint in diesen Bildern nicht wirklich zu vergehen, sondern im Gegenteil buchstäblich aufgehoben.

Christoph Schütte
2024
Anlässlich der Ausstellung
"Kairo - Auf dem Weg zur Tanta Street 1",  AusstellungsHalle, Frankfurt/M, 2023
































Christiana Protto